Okay, sei mal ehrlich: Hast du dir jemals dabei zugeschaut, wie du genau die gleichen Sätze über deinen Job sagst wie dein Vater vor zwanzig Jahren? Oder wie du plötzlich merkst, dass deine Mutter immer über Sicherheit im Beruf geredet hat – und jetzt sitzt du in einem bombensicheren Beamtenjob und fragst dich, wie zum Teufel du hier gelandet bist?
Willkommen im Club. Die Wissenschaft hat nämlich herausgefunden, dass wir alle ein bisschen wie Kopien unserer Eltern durch die Arbeitswelt laufen – nur mit besseren Smartphones und schlechteren Renten. Das Bundesinstitut für Berufsbildung hat in mehreren Untersuchungen etwas ziemlich Krasses rausgefunden: Etwa 60 Prozent aller Jugendlichen sagen, dass ihre Eltern genauso wichtig für ihre Berufswahl sind wie praktische Erfahrungen durch Praktika. Sechzig Prozent. Das ist mehr als die Hälfte von uns, die im Grunde genommen Mom und Dad fragen was soll ich mit meinem Leben anfangen, auch wenn wir es nicht so direkt formulieren.
Die erschreckende Wahrheit aus der Forschung
Noch wilder wird es bei einer Forsa-Umfrage für die Bertelsmann Stiftung: Fast die Hälfte der jungen Leute gibt zu, dass Papa das große berufliche Vorbild ist. Mama holt auf, besonders bei den jüngeren Generationen, aber der Alte hat immer noch die Nase vorn, wenn es um Karrieretipps geht. Achtzehn Prozent lassen sich richtig krass von den elterlichen Lebensläufen beeinflussen – und das sind nur die, die es zugeben.
Übersetzt heißt das: Deine Karriere ist keine coole, rebellische Solo-Entscheidung, die du eines Morgens beim Kaffee getroffen hast. Sie ist das Ergebnis von Jahren, in denen du zugeschaut hast, wie deine Eltern arbeiten, fluchen, sich freuen und abends erschöpft auf dem Sofa landen. Dein Gehirn hat das alles aufgesaugt wie ein Schwamm in einer Pfütze.
Warum wir unsere Eltern beruflich kopieren wie schlecht programmierte Roboter
Der Psychologe Albert Bandura hat in seiner sozial-kognitiven Lerntheorie beschrieben, wie wir als Kinder im Grunde professionelle Stalker sind. Wir beobachten alles, was unsere Eltern tun, und speichern es ab – nicht nur das Offensichtliche wie Papa arbeitet am Computer oder Mama operiert Menschen, sondern die ganze emotionale Soße drumherum.
Wenn dein Vater jeden Abend nach Hause kam und über seine Projekte sprach, als wären sie die spannendsten Dinge der Welt, dann hat dein Gehirn gelernt: Projektarbeit ist wichtig und aufregend. Wenn deine Mutter am Wochenende Fachliteratur gewälzt hat, hast du nicht nur gesehen, dass sie liest – du hast gelernt, dass kontinuierliche Weiterbildung zu einem erfolgreichen Leben dazugehört.
Das Heimtückische daran: Du hast nicht nur Tätigkeiten kopiert, sondern ein komplettes Wertesystem übernommen. Was ist echter Erfolg? Welche Probleme sind es wert, gelöst zu werden? Wie viel Freizeit darf man opfern? All diese Fragen wurden schon beantwortet, bevor du überhaupt wusstest, dass es Fragen sind.
Studien zur Rolle der Eltern bei der Berufswahl zeigen drei Hauptkanäle, durch die dieser Einfluss läuft: Erstens die eigene Berufsgeschichte der Eltern, zweitens die Werte, die sie jeden Tag vorleben, und drittens die Erwartungen, die oft gar nicht ausgesprochen werden müssen, weil sie in der Luft hängen wie der Geruch von verbranntem Toast.
Die Lehrer-Falle und andere Berufs-Dynastien
Jetzt wird es richtig spezifisch. Eine Studie von Fischer aus dem Jahr 2023 hat sich Kinder aus Lehrerfamilien angeschaut, und die Ergebnisse sind verrückt: Diese Kids landen überdurchschnittlich oft selbst vor einer Klasse. Nicht, weil Lehrer-Gene existieren, sondern weil sie in einem Haushalt aufgewachsen sind, wo ständig über Bildung, Pädagogik und die Wichtigkeit von Wissensvermittlung geredet wurde.
Diese jungen Menschen geben auch viel häufiger an, dass Familientradition und elterliche Empfehlung wichtige Gründe für ihre Berufswahl waren. Lies das nochmal: Familientradition. Als wären wir im Mittelalter und würden die Schmiede vom Vater erben. Nur dass es heute eben die Tafelkreide ist statt dem Amboss.
Das gleiche Phänomen gibt es bei Ärztedynastien. Kinder von Medizinern wissen mit zwölf Jahren mehr über Karrierewege im Gesundheitswesen als die meisten Erwachsenen. Sie haben beim Abendessen Fachgespräche mitbekommen, kennen die Hierarchien in Kliniken und wissen genau, wie viele Jahre Ausbildung nötig sind. Das ist ein riesiger Informationsvorsprung, der die Entscheidung natürlich macht.
Das unsichtbare Drehbuch in deinem Kopf
Hier kommt der echt gruselige Teil: Die meisten dieser Einflüsse laufen komplett unter deinem Bewusstseins-Radar. Niemand hat dir eine Pistole an den Kopf gehalten und gesagt du wirst Ingenieur. Es gibt keine dramatische Szene, in der deine Eltern dich zwingen, ihren Weg zu gehen.
Stattdessen hast du ein unsichtbares Skript internalisiert. Soziologen nennen das soziales und kulturelles Kapital. Deine Familie hat dir nicht nur Geld vererbt oder eben nicht, sondern auch Zugänge, Kontakte, Insiderwissen und vor allem: eine Definition davon, was normal ist.
Wenn beide Eltern Akademiker sind, ist ein Studium keine Option unter vielen – es ist die Standard-Einstellung. Wenn deine Familie seit drei Generationen ein Bauunternehmen führt, fühlt sich der Weg in die Selbstständigkeit vertraut und sicher an, während ein Bürojob wie ein fremder Planet wirkt.
Das bedeutet nicht, dass deine Entscheidungen falsch sind. Es bedeutet nur, dass sie weniger frei sind, als du vielleicht dachtest. Du spielst ein Spiel, dessen Regeln schon lange vor deiner Geburt festgelegt wurden.
Warum Papa mehr Einfluss hat als Mama
Hier kommt eine weitere unbequeme Wahrheit: Der Bildungsforscher Werner Sacher hat in seinen Arbeiten zur Elternbeteiligung herausgefunden, dass Väter oft einen stärkeren Einfluss auf konkrete Berufsentscheidungen haben, während Mütter eher für emotionale Unterstützung zuständig sind.
Das klingt nach einem verstaubten Rollenbild aus den Fünfzigern, aber es spiegelt leider immer noch gesellschaftliche Realitäten wider. In vielen Familien wird der Vater als der Karriere-Experte wahrgenommen, der über berufliche Netzwerke verfügt und praktische Ratschläge geben kann. Dabei ist völlig egal, ob Mama nicht genauso qualifiziert oder sogar erfolgreicher ist – die Wahrnehmung hängt hinterher.
Die gute Nachricht: Bei jüngeren Generationen ändert sich das. Mütter, die selbst Karriere machen, werden zunehmend als gleichwertige Vorbilder wahrgenommen. Aber der Prozess ist langsam, und alte Muster sind zäh wie Kaugummi unter der Schuhsohle.
Die Rebellen: Wenn Kinder das exakte Gegenteil machen
Jetzt denkst du vielleicht: Moment, ich habe doch bewusst einen komplett anderen Weg gewählt als meine Eltern. Der Sohn des Bankdirektors wird Sozialarbeiter. Die Tochter aus der Anwaltsfamilie macht eine Ausbildung zur Tischlerin. Das ist doch Beweis für freie Entscheidung, oder?
Plot Twist: Auch Rebellion ist eine Form der Beeinflussung. Wenn du dich bewusst gegen den Beruf deiner Eltern entscheidest, definierst du dich immer noch in Relation zu ihnen. Du sagst nicht ich will das, sondern ich will nicht das. Das ist eine Reaktion, keine unabhängige Aktion.
Studien der Bertelsmann Stiftung zeigen, dass Jugendliche, die starken Erwartungsdruck von erfolgreichen Eltern spüren, manchmal bewusst alternative Wege wählen. Nicht, weil sie keinen Erfolg wollen, sondern weil sie sich vom Schatten der Eltern befreien müssen. Weil sie gesehen haben, wie der Job der Eltern diese unglücklich gemacht hat. Weil sie die Opfer nicht bringen wollen, die ihre Eltern gebracht haben.
Die geheimen Soft Skills, die du zu Hause gelernt hast
Aber Eltern beeinflussen nicht nur die Richtung deiner Karriere. Sie beeinflussen auch, ob du überhaupt bereit für eine Ausbildung oder einen Job bist. Werner Sacher betont in seiner Forschung, dass Eltern die sogenannte Ausbildungsreife ihrer Kinder massiv mitbestimmen – durch Förderung von Zuverlässigkeit, Verantwortungsbewusstsein und Durchhaltevermögen.
Diese Soft Skills lernst du nicht in der Schule. Du lernst sie am Esstisch, wenn Papa erklärt, warum er ein schwieriges Projekt durchgezogen hat. Du lernst sie, wenn Mama dir zeigt, wie man einen Terminkalender führt. Du lernst sie durch das Vorbild, wie deine Eltern mit Stress, Misserfolgen und Erfolgen umgehen.
Ein Kind, das gelernt hat, Aufgaben selbstständig zu erledigen, Termine einzuhalten und mit Frust klarzukommen, startet mit einem gigantischen Vorteil ins Berufsleben. Diese Fähigkeiten sind oft wichtiger als das, was du in der Ausbildung lernst – und sie werden zu Hause aufgebaut, Stunde um Stunde, Jahr um Jahr.
Der schnelle Selbsttest: Welches Muster lebst du?
Zeit für Realitätscheck. Beantworte ehrlich diese Fragen:
- Welche drei Werte waren deinen Eltern in ihrer Arbeit am wichtigsten – Sicherheit, Kreativität, Macht, anderen helfen, Prestige oder Unabhängigkeit?
- Findest du genau diese Werte in deinem eigenen Job wieder, oder exakt ihre Gegenteile?
- Welche Geschichten über gute oder schlechte Jobs hast du als Kind ständig gehört?
- Gab es unausgesprochene Erwartungen an deine Karriere, die in der Luft hingen wie eine dunkle Wolke?
- Wenn du deinen Beruf in einem Satz beschreibst – würde dieser Satz auch auf den Beruf deiner Eltern passen, selbst wenn die konkreten Tätigkeiten völlig unterschiedlich sind?
Die Antworten können ziemlich verblüffend sein. Vielleicht arbeitest du in einem komplett anderen Bereich als deine Eltern, aber mit genau denselben Grundwerten. Vielleicht hast du ihren Karriereweg kopiert, ohne es zu merken. Oder vielleicht rebellierst du immer noch gegen Erwartungen, die längst niemand mehr ausspricht.
Was du jetzt damit anfangen kannst
Das Coole an psychologischem Wissen ist: Allein das Bewusstwerden eines Mechanismus kann seine Macht über dich verändern. Wenn du verstehst, wie und warum deine Eltern deine Karriereentscheidungen beeinflusst haben, kannst du aktiv entscheiden, welche dieser Einflüsse du behalten und welche du hinterfragen möchtest.
Vielleicht stellst du fest, dass du tatsächlich die Werte teilst, die deine Eltern dir vermittelt haben, und dass dein Beruf authentisch zu dir passt – auch wenn er ihrem ähnelt. Das ist eine super Erkenntnis, die dir Sicherheit gibt.
Oder du erkennst, dass du bestimmte Pfade aus Gewohnheit oder unbewusster Loyalität verfolgst, obwohl sie dich nicht erfüllen. Auch das ist wertvoll, weil es Türen für Veränderung öffnet. Du kannst nicht ändern, was du nicht siehst.
Wenn du selbst Kinder hast oder planst, welche zu bekommen, wird es noch interessanter. Du bist gerade dabei, für die nächste Generation das zu werden, was deine Eltern für dich waren: ein berufliches Vorbild, ob du willst oder nicht. Forschung zeigt, dass Kinder profitieren, wenn Eltern offen über ihre eigenen Berufsentscheidungen sprechen – inklusive Zweifel, Kompromisse und Sackgassen.
Erzähle deinen Kindern nicht nur von Erfolgen, sondern auch von Umwegen und Fehlentscheidungen. Zeige ihnen nicht nur eine richtige Art zu arbeiten, sondern die Vielfalt möglicher Wege. Mache klar, dass deine Entscheidungen für dich funktionierten, aber nicht die einzigen gültigen sind.
Die unbequeme Wahrheit
Du bist wahrscheinlich nicht so unabhängig in deiner Berufswahl, wie du dachtest. Deine Karriere ist tief verankert in Familiengeschichten, sozialen Strukturen und verinnerlichten Werten, die Jahrzehnte zurückreichen. Das ist die wissenschaftliche Realität, bestätigt durch zahlreiche Studien vom Bundesinstitut für Berufsbildung über die Bertelsmann Stiftung bis zu aktuellen Forschern wie Fischer.
Aber hier kommt der entscheidende Punkt: Diese Erkenntnis ist keine Resignation, sondern Ermächtigung. Wenn du verstehst, woher deine beruflichen Überzeugungen kommen, kannst du bewusst entscheiden, welche du weitertragen und welche du verändern möchtest. Du folgst vielleicht den Fußstapfen deiner Eltern, oder du läufst bewusst in die entgegengesetzte Richtung. Beides ist völlig in Ordnung.
Die wichtige Frage ist nicht, ob du beeinflusst wurdest – das wurdest du garantiert. Die Frage ist, ob du es weißt. Ob du die unsichtbaren Fäden siehst, die an deinen Entscheidungen ziehen. Und was du mit dieser Erkenntnis anfängst.
Wenn du das nächste Mal bei einem Familienessen sitzt und über Berufe sprichst, hör genau hin. Nicht nur auf das, was gesagt wird, sondern auf das, was zwischen den Zeilen mitschwingt. Dort findest du die Antworten auf die Frage, warum du heute bist, wo du bist – und wohin du als Nächstes gehen möchtest. Mit offenen Augen statt auf Autopilot. Und das macht den ganzen Unterschied.
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