Kohlrabi liegt seit einiger Zeit im Trend und hat sich vom einfachen Gemüse zum vermeintlichen Wunderprodukt entwickelt. In vielen Supermärkten findet man die Knolle nicht mehr nur lose in der Gemüseabteilung, sondern zunehmend in ansprechenden Verpackungen mit Aufschriften wie „Vitaminbombe“, „Nährstoffwunder“ oder „Gesundheits-Booster“. Doch was steckt wirklich hinter diesen vollmundigen Versprechen? Ein genauer Blick auf die Marketingstrategien zeigt, wie ein alltägliches Gemüse durch geschicktes Verpackungsdesign und clevere Positionierung plötzlich den Status eines Superfoods erhält.
Die Superfood-Strategie im Gemüseregal
Der Begriff „Superfood“ ist rechtlich nicht geschützt und wird von der Lebensmittelindustrie gezielt eingesetzt, um Produkte aufzuwerten. Das bestätigen deutsche Verbraucherschutzinstitutionen: Superfood ist ein reiner Marketingbegriff ohne gesetzliche Definition. Kohlrabi profitiert von dieser Strategie besonders stark. Während die Knolle früher als einfaches, bodenständiges Gemüse galt, präsentiert sie sich heute in modernem Gewand. Durchsichtige Verpackungen mit minimalistischem Design, versehen mit Symbolen für Vitamine und Mineralstoffe, suggerieren eine besondere Qualität.
Die Realität sieht anders aus: Kohlrabi enthält zwar Vitamin C, Kalium, Calcium und Ballaststoffe – konkret etwa 63 Milligramm Vitamin C, 322 Milligramm Kalium und 68 Milligramm Calcium pro 100 Gramm. Diese Werte sind durchaus respektabel, machen die Knolle jedoch nicht zu einem außergewöhnlichen Nährstoffwunder. Trotzdem rechtfertigen einige Händler durch die neue Positionierung höhere Preise.
Verpackungsdesign als psychologisches Instrument
Die Verpackung spielt eine entscheidende Rolle bei der Wahrnehmung eines Produkts. Bei Kohlrabi setzen Händler auf verschiedene Tricks, um den Wert zu steigern. Häufig werden die Knollen in wiederverschließbaren Frischebeuteln mit Sichtfenster angeboten. Diese Art der Präsentation signalisiert Premiumqualität und hebt sich deutlich von der losen Ware ab. Farbpsychologisch werden oft Grün- und Weißtöne verwendet, die mit Frische, Natürlichkeit und Gesundheit assoziiert werden.
Besonders auffällig ist die Verwendung von Siegeln und Symbolen. Ein stilisiertes Herz neben dem Hinweis „gut für Ihre Gesundheit“ oder ein Blatt als Symbol für Natürlichkeit – diese visuellen Elemente beeinflussen Kaufentscheidungen, ohne konkrete Aussagen zu treffen, die rechtlich überprüfbar wären. Die Grenze zwischen Information und suggestiver Werbung verschwimmt dabei bewusst.
Textliche Aufwertung ohne echte Substanz
Neben dem Design sind es vor allem die Texte auf den Verpackungen, die Kohlrabi zum vermeintlichen Superfood machen. Formulierungen wie „reich an wichtigen Nährstoffen“, „unterstützt Ihre Vitalität“ oder „traditionelles Powergemüse“ klingen beeindruckend, sagen aber wenig Konkretes aus. Diese Aussagen sind rechtlich meist unbedenklich, weil sie so allgemein gehalten sind, dass sie kaum widerlegbar sind.
Interessant wird es bei den Nährwertangaben. Oft werden gezielt einzelne Vitamine oder Mineralstoffe hervorgehoben, die im Kohlrabi enthalten sind. Was fehlt, ist der Vergleich mit anderen Gemüsesorten. Ein durchschnittlicher Verbraucher kann nicht einschätzen, ob 63 Milligramm Vitamin C pro 100 Gramm viel oder wenig sind. Tatsächlich deckt diese Menge etwa 64 Prozent des Tagesbedarfs ab – ein solider, aber keineswegs außergewöhnlicher Wert für Gemüse.
Die Rolle der Platzierung im Supermarkt
Auch die Positionierung im Geschäft trägt zur Aufwertung bei. Kohlrabi findet sich zunehmend nicht mehr bei den gewöhnlichen Kohlsorten, sondern in speziellen Bereichen für „Premium-Gemüse“ oder „Gesundheitsprodukte“. Diese räumliche Trennung verstärkt den Eindruck von Exklusivität. Manchmal wird die Knolle sogar neben tatsächlich nährstoffreicheren oder exotischen Produkten platziert, wodurch eine Assoziation entsteht, die den wahrgenommenen Wert steigert.
Hinzu kommen Informationsmaterialien am Point of Sale. Kleine Rezeptkarten, die Kohlrabi als Hauptzutat für „gesunde Smoothie-Bowls“ oder „Detox-Salate“ präsentieren, verstärken das Image als besonders gesundheitsförderliches Lebensmittel. Die Verbindung mit aktuellen Ernährungstrends wie Clean Eating oder Low Carb wird gezielt hergestellt.

Preisaufschläge durch Imagegewinn
Die Folge dieser Marketingstrategien sind oft deutliche Preisunterschiede. Verpackter Kohlrabi mit entsprechendem Branding kann deutlich teurer sein als lose Ware desselben Produkts. Verbraucher zahlen also nicht für eine bessere Qualität oder höhere Nährstoffdichte, sondern für die Verpackung und das damit verbundene Image.
Dieser Preisaufschlag lässt sich weder durch Anbaumethoden noch durch objektiv messbare Qualitätsunterschiede rechtfertigen. Es handelt sich um reines Marketing, das auf die Bereitschaft von Konsumenten setzt, für vermeintlich gesündere Produkte mehr zu bezahlen. Die Strategie funktioniert besonders gut bei Verbrauchern, die sich gesundheitsbewusst ernähren möchten, aber nicht die Zeit oder das Wissen haben, Nährwertangaben kritisch zu vergleichen.
Was Verbraucher wissen sollten
Kohlrabi ist zweifelsohne ein gesundes Gemüse. Mit nur 23 bis 28 Kilokalorien pro 100 Gramm ist er ausgesprochen kalorienarm. Er liefert Ballaststoffe – eine durchschnittliche Knolle von 350 Gramm enthält bereits 4,9 Gramm davon. Außerdem enthält er verschiedene Vitamine, darunter B-Vitamine wie Folsäure, Vitamin K und Beta-Carotin sowie Mineralstoffe wie Magnesium. Mit 43 Milligramm Magnesium pro 100 Gramm deckt er etwa 12 Prozent des Tagesbedarfs ab. Diese positiven Eigenschaften rechtfertigen jedoch nicht die Überhöhung zum Superfood.
Wer sich ausgewogen ernähren möchte, ist mit einer Vielfalt verschiedener Gemüsesorten besser beraten als mit der Fokussierung auf einzelne, vermeintlich besondere Produkte. Bei der Kaufentscheidung lohnt sich ein zweiter Blick. Lose Ware ist nicht nur günstiger, sondern genauso frisch und nährstoffreich wie die verpackte Variante. Die Verpackung selbst trägt nichts zur Qualität bei – im Gegenteil, sie verursacht zusätzlichen Müll.
Ernährungsphysiologische Einordnung
Um die tatsächliche Bedeutung von Kohlrabi objektiv einzuschätzen, hilft es, seine Eigenschaften genauer zu betrachten. Ein besonderer Vorteil der Knolle liegt in ihrer Verträglichkeit: Im Vergleich zu anderen Kohlsorten ist Kohlrabi deutlich leichter verdaulich. Das macht ihn besonders für Menschen interessant, die empfindlich auf intensivere Kohlsorten reagieren. Sein milder Geschmack spricht auch diejenigen an, die andere Kohlgewächse als zu kräftig empfinden.
Der Vorteil von Kohlrabi liegt also eher in seiner Vielseitigkeit und guten Verträglichkeit als in einer angeblich überlegenen Nährstoffdichte. Diese praktischen Eigenschaften machen ihn wertvoll – nicht ein Status als Superfood. Die Knolle kann roh als Snack oder in Salaten genossen werden, eignet sich aber ebenso gut zum Dünsten, Braten oder für Suppen und Eintöpfe.
Kritischer Konsum als Lösung
Die Vermarktung von Kohlrabi als Superfood ist exemplarisch für einen größeren Trend im Lebensmittelhandel. Gewöhnliche Produkte werden durch geschicktes Marketing aufgewertet, um höhere Margen zu erzielen. Verbraucher können sich schützen, indem sie Nährwertangaben vergleichen, Werbeaussagen kritisch hinterfragen und sich nicht von ansprechendem Design blenden lassen.
Eine gesunde Ernährung erfordert keine teuren Superfoods, sondern Vielfalt und Ausgewogenheit. Kohlrabi kann Teil dieser Ernährung sein – als eines von vielen gesunden Gemüsen, nicht als überlegenes Wunderprodukt. Seine tatsächlichen Stärken liegen in seiner guten Verträglichkeit, seinem angenehmen Geschmack und seiner Vielseitigkeit in der Küche. Mit seinem Gehalt an Vitamin C, Kalium, Magnesium und Ballaststoffen trägt er sinnvoll zu einer ausgewogenen Ernährung bei, ohne dass dafür ein Preisaufschlag durch aufwendige Verpackungen nötig wäre. Wer diese Perspektive behält, trifft bessere Kaufentscheidungen und lässt sich nicht von Marketingtricks täuschen.
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